Golgota in Irland

calvaryDie Prämisse des Films scheint reichlich konstruiert. Ein Mann, der als Junge sexuell missbraucht wurde, kündigt Father James im Beichtstuhl an: Regel deine Angelegenheiten – Am Sonntag bist du tot. Einen Unschuldigen will er hinrichten für die Verbrechen, die unter dem Schutz der Kirche an Unschuldigen verübt wurden. Regisseur John Michael McDonagh gibt zu, damit lieber eine spannende als eine logische Geschichte erzählen zu wollen, doch das Ergebnis gibt ihm überraschenderweise recht. Der Zuschauer wird in ein so spannendes wie ungewöhnliches Rätsel verstrickt: Welcher der schrägen Zeitgenossen des Beichvaters will ihn umbringen?

An den folgenden sieben Tagen steht James zunächst wie ein Fels in der westirischen Brandung: Stoisch und beherzt, nachdenklich und bodenständig – Brendan Gleeson leiht ihm dazu nicht nur seine wuchtige Physis, sondern auch eine überzeugende Darstellung. »Brendan wollte zur Abwechslung mal einen guten Priester spielen«, erklärt Regisseur McDonagh. Doch dies ist nicht die typische Geschichte des wackeren irischen Dorfpfarrers, der mit Herz und Witz die kleinen Probleme seiner Schäfchen wieder ins Lot bringt.

Ohne ihm wirklich Böses zu wollen, fordern seine Freunde und Nachbarn James und seinen Glauben auf Schritt und Tritt heraus. Der neureiche Schnösel, die trotzige Dorfschlampe und der resignierte Polizist, der überdrehte Callboy, der reuelose Strafgefangene und der zynische Chirurg machen uns klar: Die Zeiten des knuffig-katholischen Irland aus Lang lebe Ned Divine und Fish and Chips sind mit den Neunzigern zu ende gegangen. James hat sich längst daran gewöhnt hat, den Kopf hinzuhalten für die Fehler und Schwächen der Amtskirche, die er vertritt.

Doch schließlich beginnt auch der Felsen zu bröckeln. James säuft, demoliert den Pub und zerstreitet sich mit seinem Mitbruder. Man muss kein Seelsorger sein um zu merken, dass hinter Häme und Provokation der Dorfbewohner nicht Überlegenheit steckt sondern Verzweiflung. Wenn Father James doch nur die Antwort hätte! Auf die innere Leere, auf das Leid und die Ungerechtigkeit in der Welt, auf die Schuld der Kirche! Wer, wenn nicht er, der einzige weit und breit, der noch an etwas glaubt?

Die Figuren um ihn herum sind bewusst als Stereotypen gezeichnet: »Ich spiele hier den atheistischen Arzt… ein Teil Humanismus und neun Teile Galgenhumor«, so etwa Aidan Gillen, der als Dr. Frank Harte seinen aus »Game of Thrones« bekannten Zynismus noch übertrifft. Doch gerade diese Einseitigkeit verleiht den Charakteren eine Allgemeingültigkeit, die den Film zu Auseinandersetzung mit Glaube und Sinn schlechthin in der Welt von heute macht.

»Falls es in meinem Film eine tiefere Bedeutung gibt, ist das ein Fehler« – mag sein, dass McDonagh wirklich keine spezielle Botschaft im Sinn hatte. Doch zeitlose Fragen nach Gerechtigkeit, Vergeltung und Vergebung, Integrität, Hoffnung und Sterblichkeit sind hier so glasklar in Szene gesetzt, dass der Zuschauer ganz von selbst seine Schlüsse zieht. Ist also der Glaube an Gott nur die Angst vor dem Tod? Die Antwort von Calvary ist so eindeutig wie das Leben – und liegt dennoch im Auge des Betrachters.

Am Sonntag bis du tot, Irland 2014
Originaltitel: Calvary

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Eine Antwort zu Golgota in Irland

  1. Werner Mutz schreibt:

    Sehr interessant

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